Prolog: Majulah Singapura

Prolog: Majulah Singapura
Gardens by the Bay

Zwei Monate lang. Hin und Her. Nun ist mit den Gemeinden und Versicherungen alles geklärt. Endlich. Wohnung abgegeben? Check. All unser Hab und Gut eingelagert? Check. Temporäre Unterkunft bis zur Abreise? Sofa bei der Schwester. Uff. Nun endlich ein wenig Zeit zum Entspannen und gemütlich Abschied nehmen. Nur noch ein paar Einkäufe sind zu erledigen und dann ist fertig.

Eine Geschichte zu unseren Einkäufen — wenn du Zeit hast

Auf der Transa-Einkaufsliste stehen aktuell: Trekkingschuhe, kleiner Tagesrucksack und kleine Kleidersäcke. Lockere Kleidung kaufen wir uns in Singapur, denn schliesslich wissen die ja wahrscheinlich, wie man sich in heissem und feuchtem Klima kleidet. Ein paar Medikamente brauchen wir noch und dann sollte alles beisammen sein. Wir machen uns also auf zum Transa Outlet und suchen zusammen, was im Outlet erhältlich ist. Die Tage darauf machen wir noch einen zweiten Trip in den Transa. Als wir zuhause ankommen, fällt uns auf, dass wahrscheinlich ein Mückennetz eher sinnvoll erscheint da SEA (Süd-Ost Asien) teils von Malaria geplagt wird. Na gut. Ein letzter Tripp zum Transa muss halt noch sein.

Als wir uns im Regal die kleinen Netze anschauen werden wir vom Transa-Berater gefragt, ob wir denn etwas Bestimmtes suchen. Da Transa-Mitarbeiter/innen bisher unserer Erfahrung nach wussten, wovon sie sprechen, fragen wir den lieben Herrn, welches Mückennetz er denn empfehle für eine Backpacking-Reise in SEA. Er meint, da gebe es eigentlich nur eine kluge Wahl und zeigt uns ein riesiges, schweres, imprägniertes, mit diversen Warnzeichen für Giftstoffe bedrucktes und teures Mückennetz, welches wir von Anfang an ausgeschlossen hatten. Wir halten beide kurz inne. Zögernd fragend wir dann, ob denn nicht auch ein leichtes Netz welches mit Mückenspray eingespritzt wurde, in Frage komme. Er schüttelt leicht den Kopf und meint, die Stoffe in den Sprays zerstören die Netze. Man müsse Textil-Spray verwenden, welcher aber nur kurz hält. Er empfiehlt uns sehr, das Grosse zu nehmen. Hm. Na Gut. Nur mittelmässig zufrieden mit dem Prospekt, fast ein Kilogramm an Mückennetz mitzuschleppen, begeben wir uns zur Kasse.

Als wir zuhause ankommen, bereuen wir bereits – gefühlt – einen Viertel unseres Rucksacks mit dem Netz füllen zu müssen. Das reicht. Wir kaufen nichts mehr ein. Transa und auch alle anderen Outdoor Läden sind off limit. Warte mal. Ich habe eine Regenjacke welche besser Wasser saugt als ein Badetuch und du hast... gar keine? Egal. In SEA ist es ja bekanntlich warm. Da bennötigen wir bestimmt keine Jacke mehr. Und wir haben ja zwei kleine Regenschirme dabei.

Gut, da wir nun alles zusammen... Ach mist! Die Apotheke müssen wir noch aufstocken. Mit jedem Medikamment das an der Kasse eingescannt wird, fühle ich mich wie Dagobert Duck, der seine wertvollen Taler verliert. Wir geben also ein letztes Mal ein Vermögen für unsere Reiseapotheke aus und packen nun unsere sieben(undsiebzig) Sachen zusammen.

Nach dem Packen haben wir zwar noch ein, zwei – oder wie sich später herausstellen wird viele – Dinge, welche wir nicht mitnehmen wollen, aber das schieben wir auf die letzten paar Tage. In den letzten zwei Wochen verabschieden wir uns von unseren Familien und Freunden. Obwohl dies ab und zu mit Tränen endet, freuen wir uns auf die vor uns liegende Zeit. Überraschenderweise ist die Nervosität nur sehr gering. Unsere Bekannten sind aufgeregter als wir selbst.

Am Montag, dem 14. August 2023, fahren wir mit dem Zug zu fünft an den Zürich Flughafen. Die Zugfahrt fühlt sich wie ein ganz normaler Ausflug an. Unsere Eltern, meine Schwester und ihr Freund verabschieden uns auf unsere Reise und nach einem weiteren tränenreichen Abschied, passieren wir die Security-Gates und sind alleine. Erst in der nächsten halben Stunde realisiere ich langsam, dass wir tatsächlich alle diese wundervollen Menschen, die unser Zuhause ausmachen, zurücklassen. Nachdem der akute Traueranfall mit Durchatmen bewältigt ist, begeben wir uns auf Richtung Gate. Wir nehmen die U-Bahn zum Terminal für Langstreckenflüge. In der U-Bahn werden wir noch mit dem Besten was die Schweiz zu bieten hat, verabschiedet: Jodel und Heidi. Kurz nachdem wir das richtige Gate erreichen, beginnt auch schon das Boarding.

Der erste Flug nach Abu Dhabi verläuft unspektakulär. Ein weinendes Baby, knapp akzeptables Essen und zwei Filme fassen die ca. sieben Stunden zusammen. Aus dem Fenster lässt sich beim Landen kurz nach Dämmerung eine weite Wüste erspähen. Als wir spät am Abend im Dunkeln aus dem Flugzeug aussteigen, werden wir von 37°C und Sand begrüsst. Zum Glück sind wir nicht am Tag angekommen, denke ich, während mir bereits die ersten Schweissperlen von der Stirn tropfen. Der Flughafen von Abu Dhabi entspricht nicht ganz dem, was wir erwarteten. Die Gänge sind karg und die einzig grosse Halle entspricht etwa der Vorlage, welche die meisten Flughäfen für ihre Duty-Free Zone verwenden. Erwartet haben wir etwas übertriebenes und pompöses von den Vereinigten Emiraten, welche sonst immer mit Geld um sich werfen. Erhalten haben wir den Flughafen Genf. Naja. Vielleicht war das auch nur unser Terminal. Ist uns eigentlich auch egal denn nach kurzen Navigationsschwierigkeiten und einem sehr fragwürdigen, halbwarmen Chicken-Wrap geht auch schon wieder das Boarding los. Wir sind schon ein wenig müde. Die nächsten ca. acht Stunden lassen sich wieder kurz zusammen fassen: extrem schlechter Schlaf.

Singapur Skyline geschossen von einer namenlosen Reisenden

Als wir endlich um zehn in Singapur am Changi Flughafen ankommen, fühlen wir uns überraschend fit und munter. Wir müssen nur kurz unseren Pass und Fingerabdruck scannen und dann sind wir auch schon durch die Immigration. Sehr modern. Aber wir haben auch nichts anderes erwartet von Singapur. Wir holen unser Gepäck und nach einem kurzen Scan sind wir auf uns gestellt. Als Zoomer-Generation outen wir uns direkt, als wir im Flughafen mit Handy in der Hand hin und her watscheln um akzeptables WIFI zu finden. Das Geld für eine lokale SIM-Karte wollen wir nicht wirklich ausgeben. Sobald wir unsere Metro-Verbindung gefunden haben, begeben wir uns aus dem Flughafen. Bevor wir in den Zug steigen, fällt uns auf, dass wir uns hier eigentlich fast wie in der Schweiz fühlen. Niemand will einem lautstark etwas verkaufen und als Tourist aus Europa wird man vollkommen ignoriert. Alles ist extrem modern und primär in Englisch beschriftet. Wir denken uns, dass dies wohl noch dem Flughafen zu verdanken sei. In der Metro ist alles bestens beschrieben und die Wartezeit zwischen den Zügen beträgt nur etwa 5 Minuten. An den Schranken können wir unkompliziert einfach unsere Kreditkarte verwenden nach etwa 35 Minuten steigen wir aus der Metro aus und werden das erste Mal so richtig mit der Hitze konfrontiert. Es ist heiss und die Hitze ist überall. Ohne gross auf unsere Umgebung zu achten, machen wir uns auf den Weg zu unserem Hostel – The Bohemian – in Chinatown.

Nachdem wir zuerst das Hostel verpassen, landen wir schweissgebadet in einem sehr farbenfroh eingerichtetem Aufenthaltsraum. Die Person, welche uns empfängt, weist uns an, unser Gepäck abzustellen und gibt uns als allererstes zwei Gläser mit kühlem Grüntee. Als wir einchecken wollen, meint sie, dass wir zwar mit Kreditkarte zahlen könnten, dies aber mit hohen Gebühren verbunden ist. Sie fragt uns, ob wir schon gegessen haben. Als wir beide verneinen, empfiehlt sie uns eine Bank, welche tiefe Transaktionsgebühren habe. Daneben sei ein Ort, wo wir günstig essen könnten. Da wir natürlich schon von den Foodcourts oder Hawkerstalls von Singapore gehört haben, machen wir uns munter auf den Weg. Auf dem Weg schauen wir uns das erste Mal richtig um. Riesige Wolkenkratzer grenzen an dreistöckige Häuser mit Roten Dächern, gefolgt von den nächsten Wolkenkratzern. Die Kontraste wirken fast ein wenig surreal. Nach dem wir unser Bargeld ergattert haben, betreten wir den Chinatown Peoples Complex.

Was sind Foodcourts?

Die sogenannten Foodcourts oder Hawkerstalls von Singapur sind grosse Plätze oder Gebäude, welche gefüllt sind mit Essensständen aus ganz Asien. Man findet Gerichte aus China, Indien, Malaysia und vieles mehr.

Direkt sind wir von Menschen, Gerüchen und Ständen umgeben. Was uns überrascht ist, dass wir fast gar keine anderen Touristen erkennen können. Und dennoch, selbst hier, ignorieren uns die meisten Menschen. Wirklich fast wie die Schweiz. Hier stossen wir auch zum ersten Mal an eine Sprachbarriere. Vieles ist in chinesisch angeschrieben und wenn eine Englische Übersetzung existiert, dann nur in Schriftgrösse neun unter dem chinesischen Namen. Die Preise für Essen scheinen sehr günstig zu sein. Wir schlendern ein wenig durch die Menge und sind völlig überfordert von der Essensauswahl. Wir machen eine kurze Detour durch das anliegende Einkaufszentrum, um ein wenig herunter zu kühlen. Die Haupteinnahmequelle des Einkaufszentrums scheinen Reparaturgeschäfte für Elektrogeräte und Massagen sowie Gesichts-, Hand- und Fusspflege zu sein. Als wir wieder den Foodcourt betreten, entscheiden wir uns, am ersten Tag noch nicht allzu exotisches Essen zu probieren und landen bei einem Stand, welcher Pao (Teigtaschen) und Dumplings (andere Teigtaschen) verkauft. Wir gönnen uns noch ein Getränk im 7-Eleven. Diese gibt es hier gefühlt mehr als Bretzelstände am Bahnhof Bern.

Mit unserer Beute machen wir uns auf zu einem Sitzplatz und geniessen unser Essen. Wobei wir hier schon versagen. Was waren noch mal die Regeln für Essenstände in Asien? Cook it, Peel it or forget it. Hm. Diese Porkballs sind wahrscheinlich kälter als das halbherzig erwärmte Chicken-Wrap in Abu Dhabi. Eh, whatever. In Singapur kann man sich das hoffentlich noch leisten.

Nach dem wir unseren Lunch verschlungen haben, machen wir uns auf zum Hostel. Als wir an der Ampel neben dem Pfosten in der Nachmittagssonne warten, um die Strasse zu überqueren, lernen wir auch ganz schnell die Lektion, dass man hier die Sonne besser vermeidet. Nach zwei Minuten sind wir wieder am Schwitzen. Einen Blick über die Schulter zeigt uns, dass alle anderen schön im Schatten eines Vordachs warten. Im Hostel angekommen, wird uns mitgeteilt, dass wir unser Gepäck bereits in unser Zimmer stellen können. Uns wird alles erklärt und wir betreten den Raum. Der Duft fermentierter Socken mit einem Hauch von schweissigem T-Shirt kommt uns entgegen. Wir schlafen mit acht anderen Personen in einem Zimmer. Gelüftet wird meiner Nase nach nicht, aber das stoppt unsere Freude, endlich angekommen zu sein, gar nicht. Wir erhalten einen Tresor, wo sofort alles – und ich meine alles – was auch nur im mindesten einen Wert hat, eingeschlossen wird. Sogar das Plüschtier wird eingelocht. Am Schweizer Sicherheitsdenken arbeiten wir noch.

Wir finden beide, dass wir überraschend fit sind und nichts vom Jetlag spüren. Daher setzen wir uns gemütlich in die Lobby, um unseren ersten Blogeintrag zu schreiben. Wir können ja schliesslich ein wenig produktiv sein. Draussen ist es aktuell eh zu heiss. Ich google kurz auf meinem Handy ein paar Dinge über Singapur, während Rebi den Blogeintrag weiter schreibt. Nach zwei Minuten drehe ich mich wieder zu ihr um. Der Kopf ist nach hinten gesackt und der Mund weit offen. Ich wecke sie. Sie schreckt auf, als ob sie gerade im tiefsten Komma gelegen hätte. Sie hätte nur das Kissen neu gerichtet und kurz die Augen geschlossen. Mhm. Die Produktivität der nächsten zwei Stunden wird drastisch gesenkt durch akute Schlafanfälle.

in den Gardens by the Bay

Als wir im Hostel angekommen sind, wurde uns mitgeteilt, dass um sieben eine Gruppe losgehen würde, um sich die Lichtershow bei den Gardens by the Bay anzuschauen. Wir entscheiden uns kurzerhand, dass wir den ersten Abend lieber ein wenig gemütlich nehmen. Da langsam der Magen knurrt, machen wir uns auf Richtung Little India. Als wir aus der Metro aussteigen, kommt es uns vor, als wären wir in einem anderen Land. Chinatown besteht zu einem Grossteil aus vielen kleinen Restaurants, Teeläden, Ständen, welche Spezialitäten anbieten und Bars. Hier wechseln sich Früchte- und Gemüseläden mit Kleiderläden ab so weit das Auge reicht. Während die Fruchttürme in der Schweiz beinahe schon ein Baugesuch benötigen, stechen die Farben der Kleider und Tücher aus den Läden hervor. Ab und zu findet sich ein Reparaturgeschäft für Schuhe oder ein kleiner eingequetschter Souvenirladen. Zufällig laufen wir an einem verhältnismässig grossem Tempel vorbei. Drinnen wird getanzt und geklatscht. Wir bleiben kurz vor dem Tempel stehen und schauen uns um. Auch hier erkennen wir fast keine Touristen. Allgemein wurde die Bevölkerung, welche wir von Chinatown und Umgebung kennen, komplett ersetzt. Wir schlendern weiter ein wenig der Strasse entlang und lassen uns vom erstbesten indischen Restaurant abwerben. Kommt uns eigentlich gelegen. Die Entscheidungsmüdigkeit ist definitiv spürbar nach so einem «langen» Tag. Wir geniessen unser Essen und kehren zum Bohemian zurück. Todmüde schlafen wir beide fast sofort ein.

Den zweiten Tag haben wir schon durchgeplant. Nachdem wir unser Frühstück im Bohemian gegessen haben, machen wir uns auf in Richtung Shoppingmall Bugis Junction. Wir müssen uns ein paar lockere und lange Outfits organisieren, damit wir dann in Malaysia auf der Reisfarm nicht als Brathühnchen enden, wenn wir den ganzen Tag draussen arbeiten. Gesagt, getan. Mehr oder weniger. Rebi kauft sich mehr schöne Kleider als brauchbare und ich gebe ebenfalls viel zu viel Geld aus. Wenigstens können wir nun ein paar unserer alten Kleider ausmisten. Nachdem wahrscheinlich schlechtesten Essen, welches ich je hatte, machen wir uns zu Fuss auf den Rückweg. Als eine Fahrradspur plötzlich durch den Haupteingang in ein Shopping-Center führt, sind wir fast gezwungen, dieser zu folgen, um herauszufinden, wohin sie führt. Tatsächlich wurde hier eine Fahrradspur quer durch das EG eines Shopping-Centers gebaut, welche auf der anderen Seite das Gebäude wieder verlässt. Ein wenig übertrieben, denken wir uns beide. Als wir über ein Geländer tiefer in das Shopping-Center blicken, hängt uns gegenüber plötzlich ein Kletterer an der Wand. Vielleicht wahr die Fahrradspur doch gar nicht so extrem.

Zurück im Bohemian verbringen wir noch ein wenig Zeit, bis sieben Uhr um uns die Lichtershow in den Gardens by the Bay anzuschauen. Langsam findet sich eine kleine Gruppe von sieben Menschen zusammen. Nachdem uns der Weg erklärt wird, gehen wir gemeinsam los. Auf dem Weg erzählen wir uns unsere Reisepläne und was alles bereits erlebt wurde.

Als wir in den Gardens by the Bay ankommen, staunen wir alle über die riesigen künstlichen Bäume. Jeder Baum hat viele kleine Lichter welches sich in einen schönen Muster den Baum hochzieht. Wir suchen uns ein freies Plätzchen unter dem grössten Baum und sitzen im Kreis auf den Boden. Nach einigen Minuten wird angekündigt, dass die Lichtershow zur Feier von Singapur’s Geburtstag stattfindet. Während die Lichter langsam beginnen um die Bäume zu tanzen, wird Musik abgespielt. Eine nach dem anderen legen wir uns auf den Rücken um das Lichterspiel über uns zu betrachten. Gemeinsam mit fünf namenlosen Reisenden und doch jede für sich selbst geniessen wir die rund zehn Minuten. Selten gibt es Momente wie diesen, in denen der Kopf einfach abschalten kann. In diesen Augenblicken – in denen nichts anderes von Wichtigkeit ist – hat unser Kopf das erste mal Zeit zu verarbeiten, dass wir tatsächlich alles hinter uns gelassen haben, und jetzt hier sind. Zum ersten Mal richtig entspannt und glücklich seit unserer Abreise, ziehen wir am Ende der Show weiter.

Im nächsten Post: Von verrückten Menschen, einer «Wanderung» am vermutlich heissesten Tag der Woche und wahnsinnig tollem Essen.